Rachel Heuberger   Manfred Levy
Noemi Staszewski   Dodie Volkersen

KinderWelten
Ein jüdisches Lesebuch

  • VORWORT
       von Ignatz Bubis
  • David-halb-und-halb
  • Inhaltsverzeichnis
  • Aus dem Buch: KinderWelten...
    David-halb-und-halb

    bernbaum.jpg (7140 Byte)

     

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    240 Seiten
    128 Abb.
    24x17cm
    gebunden

    34,00 DM
    34,00 SFr
    244,00 ÖS

     

     

    David lebt mit seinen Eltern in einem Kibbuz in Israel. Seine Mutter ist Norwegerin und Christin. Sie ist eine Außenseiterin in ihrem Kibbuz. David wird von den anderen Kindern provoziert und gilt als Unruhestifter. Als der Kibbuz Davids Mutter Eli die Ausbildung als Erzieherin verweigert, wünscht sie sich, wieder in Norwegen zu leben. Ein heftiger Streit beginnt und am Ende reist die Familie zusammen nach Norwegen ab.

    David fühlte, daß er ein Fremder war. Manchmal hatte er Angst, an diesem Gefühl ersticken zu müssen. Und er meinte, sich daran erinnern zu können, wann er zum ersten Mal erfahren hatte, daß er anders war.

    Damals war er noch im Kindergarten gewesen, und alle waren mit den Vorbereitungen zur Chanukkahfeier (1) beschäftigt. Ganz deutlich entsann er sich, wie er den Unterschied zwischen der Festtagsatmosphäre daheim und den Chanukkahgeschichten oder Liedern im Kindergarten bemerkt hatte. Naiv, wie er gewesen war, hatte er seine Kindergärtnerin Alisa und die anderen Kinder in die Freude über diese Entdeckung miteinbeziehen wollen. Die Feindseligkeit, die er in Alisas Stimme und ihren Augen entdeckt hatte, erschreckte ihn tief. Er hatte nicht verstanden, was er falsch gemacht hatte und warum Alisa böse auf ihn war. Er hatte auch das Wort nicht gekannt, das die Kindergärtnerin leise ausgesprochen hatte, als wäre es ein böses und verbotenes Wort. Später, als er das Wort vor seiner Mutter wiederholte, explodierte sie mit großem Lärm.

    »Goya! Sie nennen mich Goya (2) vor meinem Kind!« schrie sie und weinte. »Benehmen sich so die Menschen in der offenen, kultivierten Gesellschaft, die du mir versprochen hast?«

    Sein Vater hatte die Mutter umarmt und etwas mit seiner weichen, besänftigenden Stimme gemurmelt. Aber die Mutter hatte tief gekränkt und enttäuscht geklungen, und diesen Klang konnte David nicht vergessen.

    Sein Vater hatte sich bemüht, ihm dieses kränkende Wort zu erklären, und er hatte versucht, ihm klarzumachen, warum es so wichtig für seine Mutter war, ihre Feiertage genauso zu feiern, wie sie es in ihrem Heimatland getan hatte, als sie so klein gewesen war wie er jetzt.
    David verstand. Auf seine Art verstand er, daß seine Mutter anders war, anders als Rosi, Sarit, Tirza, Warda und die anderen Mütter, die auch zu Hause Chanukkah, Purim (3) und Pessach (4) feierten. Die anderen Mütter warteten nicht auf einen freundlichen Großvater mit weißem Bart und roter Zipfelmütze, der den Kindern Geschenke brachte. Sie stellten keinen Baum im Wohnzimmer auf und sangen keine Lieder in einer fremden Sprache. David begriff, was ihm sein Vater erklären wollte, und verstand doch, daß etwas an ihnen fremd war im Kibbuz.

    Vielleicht hätte er den Zwischenfall schon längst vergessen, wenn er seine Mutter nicht sehr verändert hätte. Sie vergaß nichts, und seit jenem Tag zeigte sie jedes mal, wenn sie in den Kindergarten kam, wie fremd und entfernt sie sich fühlte. Alisa empfing sie freundlich und versuchte, den alten Zustand wiederherzustellen, aber seine Mutter ging nicht darauf ein. Jedesmal, wenn sie mittags den Kindergarten betrat, fürchtete sich David davor, daß sie plötzlich anfangen würde zu schreien, so wie sie vor Chanukkah geschrien hatte, und daß sich ihre Wangen wieder mit den häßlichen roten Flecken überziehen würden.

    Bis zu dem Abend, an dem Schifra und Ilan zu seiner Mutter gekommen waren, hatte David nicht geglaubt, daß seine Mutter es ernst meinte, wenn sie davon sprach, nach Norwegen zu ziehen. Er wußte, wie sehr sie sich nach ihrer Familie und ihren alten Freunden sehnte, aber es wäre ihm nicht in den Sinn gekommen, daß sie Newe-Tamar wirklich verlassen und dort hinziehen wollte. Er mußte daran denken, was sein Vater zu Großmutter Lora in Haifa gesagt hatte: »Natürlich hat sie es schwer. Eine Sprache tauscht man nicht einfach aus wie ein Paar Socken, das dauert lange.« Und dann hatte er leise hin zugefügt: »Glaubst du, daß es leicht ist, Heim und Familie zu verlassen?«

    Die Großmutter war rot im Gesicht geworden, und ihre Hände hatten ein wenig gezittert, als sie die Porzellanschüssel mit der dampfenden Suppe auf den Tisch gestellt hatte. »Ich weiß, daß du gelitten hast, Izik«, hatte sie geflüstert, damit David es nicht hörte, »aber du warst es ja, der weggehen wollte. Du hast mir und Jakob keine Gelegenheit gegeben ...«

    »Laß sein, ich hatte nicht die Absicht, das alte Thema aufzuwärmen«, hatte sein Vater sie unterbrochen und ihr seinen Suppenteller hingeschoben. »Und du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Eli und ich sind glücklich mit einander.«
    »Aber du hast gesagt, daß sie nach Norwegen zurückgehen möchte«, hatte die Großmutter erwidert und seinen Teller nachgefüllt.
    »Es wird etwas dauern, aber am Ende wird sich Eli eingewöhnen, da bin ich mir sicher.« Sein Vater hatte David zugelächelt, der seinen Kopf im Suppenteller versteckt hatte. »Und wir werden immer zusammenbleiben, ich werde nicht zulassen, daß mir jemand meine Familie zer stört.«
    Dieser Satz beruhigte David und verdrängte die Befürchtung, daß seine Mutter sie verlassen würde.

    Wieso hat David das Gefühl, daß er als Fremder behandelt wird?
    Wie merken die anderen im Kibbuz, daß Davids Mutter eine andere Religion hat?
    Wie verhalten sie sich gegenüber David und seiner Mutter?
    Nach dem Vorfall im Kindcrgarten will Davids Mutter wieder nach Norwegen zurück. Warum wohl?
    Was weißt du über das Leben im Kibbuz?
    Hast du schon einmal Situationen erlebt, in denen du ein Außenseiter warst?