ÃœBER DEN AUTOR

Dr. Meir Seidler, ist Dozent für jüdische Philosophie an der Bar Ilan Universität in Israel. Dieses Buch verfasste er in deutscher Sprache.

Er hat aus dem Hebräische viele Büche in die deutsche Sprache übertragen. Sein nächstes Buch schreibt er über jüdische Feirtage, die er aus einer anderen Sicht, als der uns bekannten, betrachtet. 

 

ÃœBER DAS BUCH

In diesem Buch wird die Lebenssicht  des Judentums anhand eines alten Gebetstextes, des «Höre Israel» dargestellt. Dieser vielleicht wichtigste jüdische Gebetstext, in dem Gottes Ein-heit und die sich daraus ergebende Lebenssicht proklamiert werden, wird Auf 142 Seiten  analysiert.
Hier wird keine abstrakte Weltanschaung gelehrt, sondern eine existenzielle, das Fühlen, Denken und Handeln durchdringende Lebensauffassung vermittelt  Ein-heit ist das zentrale jüdische Anliegen überhaupt. Es erschöpft sich nicht im Glauben an den Einen Gott. Dieser ist vielmehr seine Grundlage.
Der Autor stellt dieses Gebet Gebet „Schma Jirael“ unter anderem“, im Spannungsfeld Vergangenheit-Zukunft dar, in dem sich die morgentlichen und abendlichen Segenssprüche als Ganzes gegenüber stehen. 

Meir Seidler hat mit Erfolg versucht  die oft  ungeahnte Entfernung zu überbrücken,   die ein aus seinen Ursprüngen schöpfendes jüdisches Denken von der für uns selbstverständlichen abendländischen Denkweise trennt.

 

kushner.jpg (12050 Byte)

 

Bestellen

 

Gebunden
mit Schutzumschlag

 142 Seiten

 

 

 LESEPROBE  Kapitel IV aus Schma Jisrael

SEGENSSPRÃœCHE - Das Wort im Judentum

Segenssprüche bestehen aus Worten.

Die jüdische Auffassung vom Wort wird von der Tatsache bestimmt, daß die Schöpfung nach dem Zeugnis der Schrift aus Gottes Wort entstanden ist. Das Wort, Gottes Wort, geht der Schöpfung voraus. Es wird als bereits vorhanden angesehen, mit ihm wird erschaffen.

Somit offenbart sich in Gottes Wort die Macht des Geistes am unmittelbarsten, noch unmittelbarer als im Licht etwa, der alten Metapher für den Geist, auch im Judentum.1 Denn auch das Licht wurde ja erst durch das Wort erschaffen. Dies und die erstaunliche Selbstverständlichkeit, mit der das Wort von der Bibel in der Schöpfungsgeschichte bereits vorausgesetzt wird - mit ihm wird ja gar erst erschaffen - lassen vom Standpunkt der Schöpfung aus, das Wort Gottes als etwas Ihm so Nahes erscheinen, daß es mit Gott geradezu verschmilzt.

So nimmt es kein Wunder, daß im Judentum auch die menschliche Sprache überhaupt als göttlichen Ursprungs angesehen wird. Dies gilt natürlich in erster Linie für die Ursprache, Hebräisch, mit der nach jüdischer Tradition die Welt erschaffen und die auch von Adam gesprochen wurde. Die Sprache ist ein göttliches Geschenk an den Menschen, wodurch sich dieser vom Rest der Schöpfung abhebt.2 Die in der Schöpfungsgeschichte hervorgehobene Fähigkeit des Menschen, durch das Wort seiner Lippen die Tierwelt zu benennen (Gen. 2,19), wird nicht nur als Ausdruck seiner Überlegenheit über die Tiere, sondern sogar über die Engel gewertet.3 Es nimmt somit kein Wunder, wenn Onkelos in seiner aramäischen Pentateuchübersetzung (2. Jh.) die «lebendige Seele» («Nefesch chaja»), zu der der Mensch infolge des ihm von Gott eingehauchten «Lebenshauches» wird, vom Wortlaut abweichend als «sprechender Geist» ¯ - («Ruach memalela») wiedergibt.4 In der Sprache liegt mithin ein wichtiges Moment der menschlichen Gottesebenbildlichkeit begründet.

Aus dieser Auffassung ergibt sich geradezu zwangsläufig die ausgesprochen positive Einstellung im Judentum der Sprache gegenüber, die auch vor der jüdischen Mystik nicht halt macht5, worin sie sich vielleicht von mystischen Richtungen unterscheidet, die gerade die Unzulänglichkeit der Sprache als Ausdrucksform mystischen Erlebens betonen. Nicht durch die Sprache wird der Mensch in seiner Ausdrucksfähigkeit des Göttlichen behindert, sondern vielmehr durch seine Unfähigkeit, die Bedeutung von Worten in ihrer ganzen Tiefe zu erfassen.6 Nicht die Sprache ist ein unzulängliches Instrument des Menschen, der Mensch ist ein unzulänglicher Sprecher. Aus der dem Wort, der Sprache, zugeschriebenen Macht erklärt sich auch die Vielfalt der Bestimmungen gegen Klatsch  («Rechilut»), «böse Rede» ( - «Laschon hara») und üble Nachrede – («Mozi Schem ra») im Judentum7, daher auch wiegt die mit dem Mund begangene Sünde mitunter schwerer als die sündige Tat.8

Und so ist auch im jüdischen Ritual das menschliche Wort zuweilen von größerer Bedeutung als die rituelle Tat. Dies wird sehr deutlich am Freitagabend, dem Schabbateingang. Mit ihrem Wort, nicht mit dem Anzünden der Schabbatkerzen, tritt für die jüdische Frau das Werkverbot am Schabbat in Kraft.9 Ähnlich auch am Schabbatausgang, an dem das Wort, nicht die rituelle Tat, den Schabbat beendet.10